Mit der MS Amadea auf Nordland-Reise – Reisebericht 6
Spitzbergen in Sicht. Nach zwei Seetagen zeigen sich die ersten Wellen, aber für diese Region kann man das noch als sehr ruhige See einstufen. Der Himmel ist wolkenverhangen, nur zwischendurch immer wieder mal ein Fleckchen blau und ein Sonnenstrahl. Frischer Wind pfeift uns um die Ohren.
Die hohen Berge mit ihren Gletschern sind in den Wolken eher zu erahnen, erst weiter unten dem Meer zu sieht man steil ansteigende Küstenabschnitte, immer wieder durchbrochen von Gletschern, die bis ins Meer hinunterlaufen, bei diesen etwas düsteren Lichtverhältnissen grau-weiss-türkis schimmernd.
Angepeilt ist der Isfjord, der größte Fjord der Inselgruppe, mit einigen beeindruckenden Gletschern und den zwei Hauptorten Longyearbyen und Barentsburg, beide entstanden in der intensivsten Phase des Kohlebergbaus in der Region. Dieser riesige Fjord ist, wie wir später auf Longyearbyen von einem ehemaligen Fischer erfahren, tatsächlich im Winter bis in den Mai hinein zugefroren.
Direkt am Eingang des Isfjords liegen zwei kleinere Seitenfjorde, die unser Kapitän ansteuert. So nah wie möglich geht es die Küste entlang, so weit es geht, bis am Ende immer die Gletscher auftauchen, mit Namen, die man sich nicht merken, die man nur abschreiben kann, Ymerbuktra und Trygghamna, auftauchen. Die Abbrüche zum Meer hin nehmen immer beeindruckende Formen und Farben an – leider ist alles noch durch eine dicke Wolkendecke verdunkelt, man würde die Gletscher gerne in der Sonne funkeln sehen.
Quer über den Ijsfjord hinweg geht es dann hinüber zum Grönfjord, an dem der Ort Barentsburg liegt. Mitten in Norwegen ein kleiner russischer Ort, als russische Bergarbeitersiedlung schon 1932 entstanden, immer noch tätig im Bergbau für Russland, so ein wenig auch russischer „Außenposten“ im hohen Norden mit Blick auf Europa, auch mit dem Anspruch, ein wenig mehr touristisch zu werden. Fast unglaublich, ein kleines Stück Russland in Norwegen. Vor dieser Bergbauzeit gab es in dieser Region vor allem Walfänger.
Die MS Amadea liegt auf Reede, es wird getendert. Auf dem Schiff schon der Hinweis, dass der Landgang etwas beschwerlicher sei – es wäre vom Anleger aus eine hölzerne Treppe mit ein paar hundert Stufen zu überwinden. Vom Schiff aus sehen wir einen ziemlich verfallenen Ort, typisch russische Holzhäuser, nicht nur unbewohnt, sondern eher unbewohnbar. Dahinter ein paar neuere Bauten, auch zwei moderner wirkende Wohnblocks. Dazwischen schlängeln sich kreuz und quer Rohre der Dampffernheizung, manchmal isoliert, aber meist irgendwie offen liegend. Und immer wieder ziemlich chaotisch wirkende Industriebetriebe oder Industriebrachen.
Der Anleger für das Tenderboot ist wackelig. Gegenüber steht ein grüne, verschlossenes, leicht verfallenes hölzernes Hafengebäude. Außen dran ein Not-Telefon, ganz sicher nicht mehr betriebsbereit und sicherlich schon aus der Zeit der Gründung des Ortes.
Von hier aus geht eine sichtlich neu gerichtete hölzerne Treppe hinauf in den Ort, vorbei an unbewohnten, verfallenen Holzhäusern, verbunden mit Seitenstegen, nur noch teilweise begehbar. Schade eigentlich, diese Häuser waren sicherlich einmal einfach, haben aber selbst im heutigen Zustand bedingt durch ihre Bauweise, mit den typisch russischen Verzierungen, noch ihren Charme. Hoffentlich müssen sie dem neuen touristischen Anspruch des Ortes nicht weichen, sondern bekommen ihre zweite Chance.
Etwas außer Atem kommen wir oben an. Ein kleiner Platz mit einem Souvenir-Shop -versammelt all die Dinge die man benötigt um nachzuweisen, dass man in Russland und hoch im Norden war … Der Platz „gepflastert“ mit riesigen Betonplatten, nicht sonderlich eben, ebenso wie die von hier aus in den Ort hineingehenden Straßen auch.
Im Ort gibt es nicht viele Straßen, aus dem Ort heraus sichtbar nur zwei, wahrscheinlich zum Bergbau und zu den Radarstationen führend. Wir entschließen uns, etwas abweichend von den anderen Besucherströmen ein wenig durch die „Industrie-Landschaft“ zu gehen. Schon interessant, was es da so aus der Vergangenheit zu sehen gibt, und zu großen Teilen immer noch genutzt wird – ältliche Produktionsanlagen, Maschinen und Krähne mit dem Rost vieler vergangener Jahre, frisch bunt bemalte ältere Schuppen, einen sicherlich viele Jahrzehnte alten Arbeiterbus in einer Art Linienverkehr … Irgendwie besonders immer wieder mal der Ausblick, wenn zwischen diesen Gerätschaften unser Schiff zu entdecken war.
Energie ist anscheinend kein Problem. Ein Kraftwerk pustet anscheinend genügend Wärme durch die schlecht isolierten und sicherlich nicht sonderlich dichten Rohre. So viel, dass außerhalb des Ortes noch einige Gewächshäuser und eine Kolchose mit Kühen, Schweinen und Hühnern betrieben werden können für den alltäglichen Bedarf, den es vor allem in der langen Winterzeit gibt. Ansonsten wird alles per Schiff aus Russland herangeschafft.
Im Ort dann ein überraschend großes, neu gerichtetes Hotel mit Restaurant. Warum nicht (endlich) wieder einmal etwas anderes essen als das, was auf dem Schiff zu haben ist? Zunächst heißt es aber im Eingangsbereich des Restaurants „Socken zeigen“. Die Schuhe müssen vor der Tür ausgezogen werden. Drinnen alles holzvertäfelt, eine typische Gaststätte. Die freundliche junge Frau im Service spricht je nach Gast russisch, norwegisch oder englisch; von ihr erfahren wir, dass „Schuhe ausziehen“ einfach auf Spitzbergen üblich sei, wenn man in ein Haus geht, damit nicht der Schmutz von draußen reingetragen wird, vor allem nicht der Kohlestaub, und dass das Hotel bis vor nicht all zu langer Zeit mal ein Wohnheim für die Bergarbeiter gewesen sei.
Wir sagen ihr unser Zeitfenster – schließlich müssen wir rechtzeitig zur Abfahrt der MS Amadea zurück sein, und lassen uns etwas von der Speisekarte empfehlen, einschließlich etwas von den auf der Theke stehenden Getränken. Eines der Gerichte mit Fisch nennt sich, so überträgt sie nach englisch „das Beste, was Russland zu bieten hat“. Wir entscheiden uns dafür. Es wird frisch zubereitet, wir können so lange noch etwas spazieren gehen.
Nebenan die ehemalige Schule. Zu Zeiten, in denen hier noch ein paar hundert Leute mehr wohnten, gab es in Barentsburg auch Kindergarten und Schule. Heute leben hier nur noch 450 Personen, davon sind 150 im Bergbau tätig. Die Schule, hübsch bunt mit Märchenmotiven bemalt, wird gerade renoviert, sicherlich für touristische Zwecke. Gegenüber eine kleine Brauerei, die nördlichste der Welt, gerade neu entstanden. Man hätte ja gerne probiert, aber die Tageszeit passt noch nicht so ganz. Zurück geht es zum Essen.
Der Tisch ist eingedeckt, gegenüber der Theke, so dass freundlicher Blickkontakt immer möglich ist. Unser Getränk erweist sich als eine Art „Aufgesetzter“, nordische Moosbeeren, Saft, Wasser, unverkennbar mit Wodka. Das Essen für uns eine Überraschung: Irgendwie alles miteinander kombiniert. Kartoffel, Gemüse, Tomaten, gebackener Fisch, Spiegelei, ein wenig durchaus leckere Sauce drumrum, dazu einige Kleckse süßer und doch leicht säuerlicher Marmelade. Große Augen – essbar? Getestet: Sehr lecker!
Nebenher fleddern wir in der Speisekarte. Lustiges Durcheinander mit Allerlei. Immer wieder Abbildungen, von Bären, oder von Schiffen, die hier regelmäßiger ankommen.
Es geht zurück zur MS Amadea, vorbei an den alten Holzhäusern, die lange Treppe hinunter. Jetzt ist für den Rest des Tages und der Nacht Sightseeing angesagt. Dunkel wird es ja nie.
Geisterstadt und übernachten am Gletscher
Das Wetter überraschend wechselhaft – mal stürmisch-kalt, der Himmel grau bis fast schwarz, und wenige Minuten später wieder viel blau am Himmel und strahlender Sonnenschein.
Der Himmel ist inzwischen immer mal wieder richtig blau; Fjorde und Berge, Schnee und Gletscher zeigen sich in schönstem Licht. Jetzt ist viel besser erkennbar, welch bizarre, vielfältige Formen die Berge annehmen können, je nach Durchmischung der Gesteinsarten. Mal meint man fast, Wasserfälle zu erkennen, dann regelrechte Skulpturenlandschaften, dann wieder Pyramiden.
Unser Schiff steuert durch den Isfjord, hinein in den Billefjord, ganz am Ende des weit verzweigten Fjordenetzes liegend. Am Ende des Fjordes ein riesiger, beeindruckender Gletscher, dem Nordenskjöld, an den wir ziemlich nahe heranfahren, langsam, um mit Ruhe Eindrücke sammeln zu können. Er zeigt sich in blauweißem Eis, bei schöner Sicht, der Gipfel darüber in den Wolken versteckt. Um uns herum schwimmen große und kleine Brocken Gletschereis, was eben so abbricht, wenn sich der Koloss weiter ins Wasser schiebt.
Es geht weiter, vorbei an vielfältigen Bergformationen. An der Ausfahrt des Billefjords ein Berg, fast perfekt geformt wie eine Pyramide. Davor ein relativ großer Ort, aber inzwischen eine echte „Geisterstadt“, in der kein Mensch mehr lebt – einst die größte russische Bergbausiedlung in der Region. Vor wenigen Jahren wurde hier der Bergbau aufgegeben, die Stadt fast spontan verlassen. Alles blieb, wie es war. Uns wird berichtet, dass eigentlich alles noch steht, wie wenn es erst vor kurzem überraschend verlassen worden wäre – voll eingerichtete Wohnungen, eine komplette Bibliothek, Läden mit teilweise noch gefüllten Regalen, das Kino, Werkstätten in denen Autos repariert werden können, die Gewächshäuser. Und so weiter. Die Stadt war anscheinend einmal völlig autark konzipiert – selbst in dieser arktischen Region wurde im strengsten Winter in Gewächshäusern Gemüse gezogen, wurden in Stallungen Hühner, Schweine und Rinder gehalten. Die abgebaute Kohle sorgte für die erforderliche Energie. Abgebaut wurde in den Bergwerken im Winter, wenn der Fjord zugefroren war, bei im Berg vergleichsweise milden Temperaturen; abtransportiert wurde im Sommer.
Gerne wären wir in diesem Ort auf Entdeckung gegangen – was inzwischen möglich ist. Immer wieder fährt mal ein Transferboot von Longyearbyen aus hin, was wir leider zu spät mitbekommen. Wir wären dabei gewesen.
Nun geht es hinein in den Sassenfjord und den Tempelfjord, zu unserem „Übernachtungsplatz“. Diese Nacht wird nicht gefahren, auch nicht in einem Hafen angelegt, sondern direkt vor einem Gletscher vor Anker gegangen. Ein besonderes Erlebnis. Das Schiff treibt ein wenig am Anker, so dass man von abends bis zum Ablegen am Morgen immer wieder andere Perspektiven vom Gletscher sehen kann – sofern man nicht gerade schläft. Die Crew lässt am Abend noch ein Rettungsboot hinunter, ein paar Brocken sammeln – am Abend gibt es Cocktails und Whiskey mit Gletschereis.
Für und gibt es eine etwas kurze taghelle Nacht. Es gibt zwar nur Eis, Schnee und Berge, aber zugleich doch viel zu sehen. Ein paar Schneewehen haben für uns eine Rose an den Berg gemalt. Am nächsten Tag wird es in die Hauptstadt Spitzbergens gehen, nach Longyearbyen.
Bis zum nächsten Bericht beste Grüße
Lydia Häufele und Bernd Jans
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