Bei der Anfahrt auf Marseille hatten wir noch gehofft, dass wir ganz nah an der Altstadt und bei den modernen Museen, nahe dem alten Hafen an einem der dortigen Piers andocken, am Port de la Joilette, wo öfters auch die kleineren Kreuzfahrtschiffe liegen. Später erfahren wir, dass dies aufgrund der Windbedingungen ausgerechnet an unserem Ankunftstag Tag nicht möglich war. Der neue Kreuzfahrthafen, vor einigen Jahren entstanden, liegt weit außerhalb vom Zentrum Marseilles. Und so liegen wir mit der Oceania Sirena, dem „kleinen“ Schiff, mit dem wir unterwegs sind, auch hier, neben der „riesengroßen“ MSC Seaview, die alles überragt.
Mit dem Shuttlebus geht es in die Stadt, Endstation an der Hauptstraße beim Fort Saint-Jean. Bis zu den Fischern am alten Hafen wäre es noch ein ziemlich weiter Weg zu Fuß – und so steigen wir direkt in den öffentlichen Bus Linie 60 ein. Vorbei am alten Hafen geht es, mit herrlichem Blick auf den Fischmarkt, das Fort Saint-Nicolas und die Stadt, hoch oben auf dem Berg die Basilika Notre Dame de la Garde. Wir entscheiden gleich jetzt mit dem Bus die steilen Serpentinen, gesäumt von Gebäuden aus verschiedensten Jahrhunderten, hinaufzufahren.
Oben steht in herrlichster Aussichtslage die mit Mosaiken geschmückte Kirche aus dem 19. Jahrhundert, 154 Meter über dem Meer. Von hier hat man eine unvergleichliche Aussicht – die Stadt Marseille samt Bucht und vorgelagerten Inseln liegen zu Füßen. Berühmt-berüchtigt vor allem die Insel Chateau d’If – die Kalksteininsel mit Festung und Kerker, die auch Schauplatz von Alexandre Dumas Roman „Der Graf von Monte Christo“ ist. Wer möchte, kann mit dem Transferboot vom alten Hafen aus die Inseln gut erreichen – die einen besichtigen die Festung, die anderen nutzen die beliebten Inselstrände.
In Marseille kann man gut und günstig so ziemlich alles mit den öffentlichen Bussen erreichen; auch ohne großartige Sprachkenntnisse lässt sich eine Strecke gut mit dem Stadtplan zusammenstellen, und an den Innenstadt-Haltestellen wird immer angezeigt, wann der nächste Bus fährt. Für uns geht es mit dem Bus zurück in die Altstadt. Wir haben noch ein wenig Zeit, um über den Fischmarkt zu gehen. Wie immer faszinierend, was da alles an Meerestieren angeboten wird. Interessant auch der Blick nach oben, wo sich in einem riesigen Zeltdach-Spiegel das Geschehen auf dem Platz spiegelt.
Von hier aus schlendern wir die alte Flaniermeile la Canabiére hoch, vorbei an der alten Börse und vielen klassizistisch angehauchten Gebäuden, mit Restaurants, Designerläden, aber auch mit viel touristischem Angebot, ob Seifen, Keksen oder Schnickschnack. Es geht in Richtung Marché du Capucins, einem unserer Lieblingsplätze in Marseille.
Obwohl die Stadt immer sauberer, geordneter und geplanter wird, kommt hier noch etwas der Charme der Vergangenheit durch. Ein noch etwas herkömmlicheres Viertel mit buntem Marktgeschehen, ehemals als arabisches Viertel bezeichnet, inzwischen mulitkulturell alles geboten, ob französische Fischhändler, marokkanische Gewürzhändler, tunesische Süßwarenbäcker, türkische Metzgereien, afrikanische Gemüseläden, ein Eierhändler, ein Milchladen, Obsthändler und mehr. Dazwischen mal eine arabische Fladenbrotbäckerei, eine Teestube, ein äthiopischer Grill, ein Pizzabäcker, ein kleines Fischrestaurant, und so weiter.
Immer wieder dazwischen ein französisches Traditionsgeschäft, zum Beispiel ein Fachgeschäft für Küchenutensilien, das mit seinem breiten Angebot selbst Profiköche zum Staunen bringen dürfte, oder eine Charcuterie mit typischen Spezialitäten. Eine Vielfalt ohnegleichen. Einfach beeindruckend, was hier nebeneinander und miteinander lebt, einkauft, verkauft. Trotz der Touristen, die alle auch dazwischen herumschlendern und den Alltagsbetrieb eher stören, rundum freundliche Menschen. Ob bei Fragen nach der Zusammensetzung irgendeines Gebäcks, dem Namen eines ziemlich bunten Fisches, der Herstellung der vielen verschiedenen Salzsorten oder anderem.
Für uns immer wieder faszinierend ein marokkanischer Händler, der wirklich unzählige Gewürze, Tees, Salze, getrocknete Früchte und Nüsse und mehr prächtig in seinem Laden präsentiert – und bei dem auch heftig eingekauft wird. Auch von uns. Vor allem das sehr feine, differenzierte Pyramidensalz; wir nehmen gerne das weiße und das schwarze. Übrigens zählen wir allein über zwanzig Salzsorten in diesem Geschäft. Alles in diesem Laden ist nicht gerade günstig, auch nicht all das, was sonst angeboten wird, aber in sehr hoher, für uns überraschend hoher Qualität. Gerade in diesem eher ärmeren Stadtgebiet. Für uns ist es nun Zeit, einen Kaffee auf einem der kleinen Plätze zu trinken und das Geschehen zu beobachten und genießen.
Wir sind immer in diesem Stadtviertel, wenn wir in Marseille sind. Aus unserer Sicht bedauern wir so ein wenig den Wandel, der sich abzeichnet. Zwischen den alten traditionellen Geschäften tauchen immer mehr stylische kleine Bars und Restaurants auf. Immer mehr der afrikanischen Haarsalons schließen, ebenso wie die kleinen afrikanischen Schneidereien. Zwischendrin dann auch schon die ersten Shops, die eher touristische Ware verkaufen. Die alten, hölzernen Stände mit den provisorischen Sonnendächern im Bereich des Gemüse- und Obstmarktes sind verschwunden – hier prangen jetzt von der Stadt fest installierte Marktstände, die sicherlich vielen Richtlinien genügen. Aber mit den alten Ständen scheinen auch die früheren Händler verschwunden zu sein und mit ihnen die Tradition des Marktes, dass hinter den Ständen stets Gemüse- und Obstkisten mit überreifer oder leicht beschädigter Ware stand, an denen sich Bedürftige kostenlos bedienen durften.
Was wir bedauern, kann sich allerdings aus Sicht der Anwohner ganz anders darstellen, wie uns das Gespräch mit einem Italiener, der im Viertel ein kleines Restaurant betreibt, zeigte – er war durchaus angetan von den Entwicklungen; das Quartier sei sauberer, ordentlicher, und auch sicherer geworden.
Ein wenig gehen wir noch durch die Stadt, trinken einen Kaffee, freuen uns über ein paar nette Graffittis. Aber es ist viel zu heiß, um viel herumzugehen; die Sonne brennt. Obwohl die Strecke nur kurz ist, fahren wir wieder mit dem Bus entlang dem alten Hafen, zum Mucem – der Name für ein neues Museum am alten Hafen, entstanden vor ein paar Jahren, als Marseille europäische Kulturhauptstadt war.
Viele moderne Gebäude wurden entlang der alten Fracht- und Fährterminals gebaut, das Mucem sogar auf einem ehemaligen Pier, über einen Fußgängersteg verbunden mit dem Fort Saint-Jean, das Ludwig XIV 1660 als Eingangsfestung zum alten Hafen erbauen ließ. Vergangenheit trifft hier passend auf Moderne.
Das Mucem widmet sich den Zivilisationen Europas, bringt aber zusätzlich immer wieder Sonderausstellungen aus allen Regionen der Welt; wir schauten und zum Beispiel eine ungewöhnliche Ausstellung über den chinesischen Künstler Ai Weiwei, der mit seinen Exponaten Konformismus, Entfremdung und Bevormundung hinterfragt, und rannten dann durch eine Ausstellung zum Thema Gold, die uns weniger begeisterte.
Das Mucem selbst ist ein großes Kunstwerk, ein Quader mit 72 Meter Kantenlänge, mit Außenhaut weitgehend aus filigranem Betonguss, wie ein Spitzenmuster, im Eingangsbereich viele flache und gewölbte Spiegel. Auf einer Dachterrasse im Übergangsbereich zum Fort herrscht reges Treiben – das Restaurant, das sich hier befindet, ist anscheinend recht beliebt, und auf der Terrasse ebenso wie auf dem Fort scheint es am Abend Konzerte zu geben; für zwei Jazzbands werden Bühnen aufgebaut. Schön natürlich auch die Aussicht von hier oben – in die eine Richtung die Stadt, in die andere Richtung die imposante Cathédrale de la Major.
Die Hitze, die an diesem Tag herrscht, macht müde – und so beschließen wir, zum Kreuzfahrtschiff zurückzufahren. Die Haltestelle des Shuttle-Busses ist direkt beim Mucem. Leider müssen wir ziemlich lange warten – aber es ist ja auch nicht der öffentliche Linienbus, sondern der Shuttlebus zum Kreuzfahrtschiff, das sich als Luxus-Schiff versteht.
Marseille war wie immer ein Erlebnis. Südfrankreich pur, wie immer.
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