Eine Stadt zwischen Lebensfreude, Armut und Relikten kolonialer Vergangenheit
Pazifik-Reise, Bericht 2
Am Vortag sind wir angekommen in Lima, die erste Nacht haben wir auf der MS Albatros verbracht. Da es zur Mittagszeit schon losgehen wird, hinaus auf den Pazifik in Richtung Osterinsel, ist nur kurz Zeit für ein paar Entdeckungen in der Stadt. Vom Schiff wird ein kurzer Ausflug „Lima individuell“ angeboten, eine kleine Stadtrundfahrt mit etwas Zeit, das Stadtzentrum zu erkunden.

In Calleo geht es durch die Hafenanlagen, um uns Kräne, Transportfahrzeuge, am Hafenausgang direkt eine Bahnlinie für den Frachtverkehr.





Danach folgt eine längere Strecke durch sehr ärmlich anmutende Gebiete in Richtung Stadtzentrum. Unterwegs sind in den Straßen wieder die gut gefüllten Personenbusse zu sehen, entlang der Straßen kleine Geschäfte und Wohnhäuser, in den Seitenstraßen immer wieder einmal ein Markt, und sehr präsent die Polizei.





Je näher wir zum Stadtzentrum kommen, desto häufiger sehen wir um uns herum Bauten im Kolonialstil, eindeutig erkennbar die spanische Tradition – obwohl 2021 die 200jährige Unabhängigkeit gefeiert wird, wurde dieser Baustil anscheinend noch lange Zeit gepflegt.

Auffallend ist, dass an den großen alten Gebäuden entweder heftig der Zahn der Zeit nagt, sie auch weitgehend unbewohnt scheinen, oder dass sie prächtig renoviert sind. Unser Reiseleiter meint, dass diese Häuser weitgehend in privaten Händen gewesen wären, die Privatpersonen sich jedoch weder Unterhalt noch Renovierung dieser Häuser mehr leisten konnten.

Sie werden jetzt oft an den Staat gegeben, der sie für öffentliche Zwecke herrichtet, zum Beispiel für Behörden oder universitäre Einrichtungen. Einige solcher Gebäude sehen wir, die unverkennbar in Hochglanz die Handschrift von Banken tragen.



Wir umrunden eine Prachtplatz, den Plaza San Martin, in der Mitte des Platzes eine Reiterstatue mit dem Befreier des Landes aus der spanischen Herrschaft, General San Martin. Wir fahren eine Straße weiter und kommen mitten im Zentrum an, an dem Platz, an dem all das steht, was allgemein als hoch bedeutsam angesehen wird, dem Plaza Armas – der Regierungspalast, das Rathaus, die Stadtverwaltung, die Kathedrale, allesamt historische Prachtbauten, vor allem der neben der Kathedrale stehende Bischofssitz mit seinen reich verzierten Holzbalkonen.



Unser Entschluss steht – wir wollen nicht um solche Bauten schlendern, auch nicht in die Kathedrale oder ins nahegelegene Franziskanerkloster gehen, sondern dahin, wo das Alltagsleben läuft. Unser Ziel: Der Markt. Unser Reiseleiter gibt uns noch ein paar Vorsichtstipps mit auf die Strecke, und es geht los.


Die Straße entlang allerlei Geschäfte, Bars und kleine Restaurants in älteren Gebäuden. In einer Straße gibt es Vorbereitungen für ein Festival. Die Fassaden vielfach mit Stuck verziert, alles etwas bröckelig, die Farben verblasst. Auf den oberen Etagen sieht man oft noch die traditionellen alten Holzbalkone oder kleine Erker. Die Fußgängerwege beeindrucken vor allem durch Stolpersteine, Schlaglöcher und Enge. Es sind so viele Menschen unterwegs, dass man oft auf die Fahrbahn ausweichen muss – was nicht leicht fällt bei dichtem meist stehendem Verkehr, die meisten der Autos laut hupende Taxis, die sich selten, aber doch immer mal wieder ein paar Meter bewegen.





Beeindruckend ist die Auslage in einer Konditorei an einer Straßenecke. Ein ziemlich großer Laden voller süßer Teile, Kuchen, Schnittchen, Schoko-Brötchen, Creme-Rollen, Torten – bis hin zu einer riesigen Hochzeitstorte, eigentlich mehr ein Hochzeits-Szenenbild.

Die Markthalle präsentiert sich als älterer mehretagiger Betonbau, ziemlich düster, nicht einmal alle Marktstände richtig beleuchtet – aber schon auf den ersten Blick nach drinnen mit beeindruckendem Angebot.

Gleich im Eingangsbereich liegt der Fleisch- und Fischbereich. Das, was bei uns eher in hinteren Bereichen versteckt wird, scheint hier mehr Bedeutung zu haben – die Innereien. Wirklich alles, was man sich vorstellen kann, liegt oder hängt feinst sauber geputzt und hergerichtet an den Ständen. Einiges von dem, was angeboten wird, würde bei uns Zuhause nicht als essbar eingestuft …






Verkäuferinnen und Verkäufer putzen alle denkbaren tierischen Teile, schneiden diese zu, sortieren – und freuen sich, wenn man nachfragt, ob man ein Foto mache darf. Das, was bei uns als „richtiges“ Fleisch eingestuft wird, gibt es in hervorragender Qualität, in prächtigen Zuschnitten – anders kann man das eigentlich nicht beschreiben.

Ob Rind, Schwein, Schaf oder Ziege, bei allem legen die Anbieter anscheinend riesigen Wert auf Qualität und Frische. So ein wenig an Wilhelm Busch erinnern die Verkaufsstände, an denen Hühner angeboten werden. Immer hängt der ganze Stand voller gerupfter Hühner, von Kopf bis Fuß komplett, immer in einer Qualität, wie man sie bei uns kaum zu sehen bekommt.




Genau wird unterschieden, um was für ein Huhn es sich handelt, ob braun oder schwarz oder weiss – oft hängen noch ein paar Federchen als „Namen“ mit dran. An den Kämmen sieht man, wie alt das Tier war; an den Köpfen und an der Größe des Tieres ist zu erkennen, ob es sich um ein Huhn oder einen Hahn handelt. Natürlich dürfen auch die Suppenhühner nicht fehlen – die sind meist in der Mitte geteilt, die Innereien drin, aber reinlichst geputzt, und so gut wie immer sind halbfertige Eier drin – da fühlt man sich ein wenig an Oma’s Bauernhof erinnert.

Ob Enten oder Gänse oder Wachteln, es geht so weiter. Auch beim Fisch – aber dafür sind wir wahrscheinlich schon etwas zu spät dran, der ist weitgehend verkauft. Zu sehen sind jetzt vor allem noch verschiedenste Muscheln und Shrimps in allen Größenordnungen.



Auf diesem Markt gibt es so ziemlich alles. Im Bereich, in dem es vor allem Gemüse, Salate und Obst gibt, fallen erst einmal die vielen fast schon gelb leuchtenden Bananen in allen Größenordnungen auf, die auch dabei hängenden roten und grünen Bananensorten sieht man erst auf den zweiten Blick. Dann das fast schon üppig zu nennende Grün – Salate, verschiedenste Gurkensorten, und vor allem eine unglaubliche Kräutervielfalt.



Erst auf den zweiten Blick fallen diejenigen Dinge auf, die typisch sind für Südamerika, zum Beispiel Mais in allen möglichen Farben und Größen. Die ganz großen sind ziemlich hell und bleich, ein Maiskorn hat in etwa die Größe einer Kirsche. Andere haben die bekannte gelbe Farbe, dann sind einige rötliche dabei, und sehr ungewöhnlich die tiefschwarzen Körner.


Zwischen den ganzen Fleisch-, Fisch- und Gemüseständen darf natürlich auch ein Schutzheiliger nicht fehlen; im Übergangsbereich ist so etwas aufgebaut, bei dem man nicht richtig einschätzen kann, ob es mehr eine Weihnachtsszene oder eine Bauernhofdarstellung sein soll.






Dann fällt der Blick auf die vielen Kartoffelsäcke – an diesen zeigt sich, dass Südamerika die Heimat der Kartoffeln ist, und dass die kleine Vielfalt, die wir bei uns inzwischen haben, immer noch eine sehr begrenzte Auswahl darstellt. Hier in Peru gibt es alle denkbaren Farbschattierungen von gelb, viele davon mit grün, rot, lila oder braun getönt, manche rot mit gelben Flecken, andere fast wie ein Farbenspiel von grün über rot nach gelb übergehend. Die Formen natürlich ebenso vielfältig, von glatt und rund über länglich bis hin zu knorrigen oder völlig verknuddelten Gebilden. Und die Größe – von mini bis zu riesengroß.




Im einem Zwischenbereich von all dem Angebot wird gekocht und gebraten. In atemberaubender Geschwindigkeit wird Gemüse geschnippelt, werden Fische filetiert oder Fleischstücke zugeschnitten. Das meiste verschwindet in großen Suppen-Kochtöpfen. Überall duftet es nach Frischeküche, an einigen Ständen wird gegessen.

Gleich neben dem Markt hatten wir schon vorher das Eingangstor zur China-Town gesehen – wie schon oft irgendwo auf der Welt gesehen das rote Tor mit dem grünen Dächlein und den davor sitzenden Löwenfiguren. Wenigstens einen kleinen Blick soll es noch geben, bevor es schon wieder zurück zum Schiff geht.



Die Auslagen in den Geschäften werden typisch, überall sieht man die goldenen Winkekatzen. Chinesische Supermärkte und Restaurants wechseln sich ab. In den Auslagefenstern der Restaurants hängen gegrillte Enten und Schweinekrusten. In einer der Garküchen probieren wir noch frisch gemachte Dim Sums – und bedauern, als wir wieder in Richtung Bus steuern, dass nicht mehr Zeit war, um sich durch all die leckeren Dinge in China-Town durchzufuttern.

Aber es geht zurück zum Schiff, wieder eine lange Fahrt durch die Stadt, mit vielen Ein- und Ausblicken auf unterschiedlichste Szenerien. Unser Reiseleiter merkt unterwegs noch an, dass uns wohl aufgefallen sei, dass wir kaum eindeutig indigene Menschen sehen würden, also eher die Ureinwohner der Region. Grund sei insbesondere in Lima, dass sich hier wirklich die Bevölkerung völlig durchmischt habe, zunächst mit Spaniern, die die ursprüngliche Bevölkerung ausbeuteten und versklavten, vor allem in Bergwerken, so dass von etwa 10 Mio. nur noch 1 bis 2 Mio. übrig blieben.
Um den Bedarf an Arbeitskräften abzudecken, wurden Sklaven aus verschiedensten Ländern Afrikas nach Peru gebracht. Später siedelte sich Engländer, Portugiesen und andere Europäer an, schließlich Chinesen. Inzwischen ist Lima die Stadt mit der größten chinesischen Bevölkerungsgruppe in Südamerika, mit man schätzt etwa 2 Mio. der Einwohner Limas.





















Heute noch spiegelt sich die Geschichte des Landes nicht nur in den unterschiedlichsten Gesichtszügen, die man in den Straßen sieht, sondern auch im Bildungssystem. Neben dem nicht sonderlich guten staatlichen Schulsystem gibt es viele Privatschulen, zum einen konfessionelle, zum anderen in sprachlich ausgerichtete Schulen, wie englische, deutsche, amerikanische, spanische Schule, die von den jeweiligen Ländern gefördert werden.




Schade, dass keine Zeit war, so ein wenig abseits der Hauptstraße in die Viertel hinein zu kommen – und noch mehr schade, dass wir keine Zei für einen Ausflug in die Berge hatten, so ein wenig Wüstenlandschaft mit den kleinen Dörfern zu schnuppern, die wir beim Anflug auf Lima gesehen hatten.

Nach längerer Fahrt sind wir zurück auf der MS Albatros. Bevor es los geht, ist Sicherheitsübung angesagt – wie immer bei Phoenix fast eine Zeremonie, die man von anderen Kreuzfahrtanbietern kaum kennt. Nach den Sicherheitsinformationen wird gemeinsam geübt, die Schwimmweste anzulegen, und dann geht es tatsächlich zum Rettungsboot – und dort heißt es noch kurz warten, bis der Kapitän an allen wartenden Passagieren vorbeigeschritten ist und die Abnahme erteilt hat.

Unterstützt von einem Schlepper legt das Schiff ab. Neben uns hatte zwischenzeitlich noch ein anderes Kreuzfahrtschiff festgemacht, die MS Prinsendam der Holland America Line – interessant ist daran vor allem, dass dieses Schiff ab der nächsten Saison als MS Amera für Phoenix unterwegs sein wird, und dass es schon in neuen Farben die Titelseite und die Titelstory für die Zeitschrift liefert, die bei uns auf der MS Albatros in der Kabine liegt.

Dass Lima in einer sehr fischreichen Region liegen muss, sehen wir noch bei der Ausfahrt; vor dem Hafen liegen ziemlich viele Fischerboote.



Für uns gibt es aber jetzt erst einmal vier Seetage – wir gehen auf eine ziemlich lange Strecke, bei der Land vor allem unter uns ist. Bis zu den Osterinseln sind es etwa 4.000 Kilometer.

Lima war ein Erlebnis – jetzt sind wir gespannt auf die Osterinsel, über die wir im nächsten Reisebericht einiges zu erzählen haben.
(#Peru, #Lima, #Südamerika, #Pazifik, #Markt)