Wohnen, Leben und das Mausoleum
Vietnam- und Kambodscha-Reise,
Bericht 9
Zurück zur Reise – es war ein langer „Ausflug“ in die Geschichte Vietnams. Aber genau diese Geschichte wird uns auf unserer Reise immer begleiten. Am Morgen haben wir von unserem Hotelzimmer auf der vierten Etage aus einen guten Ausblick auf all das, was uns von der Stadt umgibt – das Altstadtviertel von oben gesehen, ein paar Hochhäuser, der See mit den Vergnügungsschiffen, hinter dem Hotel ein buddhistischer Tempel, direkt unter uns der geschäftige Verkehr auf der engen Hauptstraße.

Nach dem Frühstück geht es zum Ho Chi Minh-Mausoleum – das „Pflichtprogramm“ in Hanoi, das nicht nur nach dieser Runde „Nachdenken“ einfach dazu gehört. Dieses Pflichtprogramm scheint auch für unseren vietnamesischen Reiseleiter verpflichtend zu sein in dem Sinne, dass alle Touristengruppen dahin geführt werden müssen. Denn als er mitbekommt, dass wir nachdenklich sind und vielleicht doch nicht mitgehen wollen, zieht er alle Register, damit wir auf diese Tour mitkommen.

Angekommen an der Gedenkstätte, vor uns das Mausoleumsgebäude, ein großer kantiger Bau, gebaut 1973 bis 1975, mit Materialien aus ganz Vietnam erstellt. Es ist noch früh am Tag, es gibt noch keine sonst übliche lange Warteschlange. Sicherheitskontrolle, dann ein langer Weg durch die Parkanlage um das Mausoleum herum. Links und rechts alle zwanzig Meter ein stramm stehender junger Offizier in weißer Paradeuniform, den angehefteten Orden nach anscheinend hoch dekoriert. In Bewegung nur dann, wenn ein Besucher doch sehr bestimmt darauf hingewiesen werden muss, dass er auf dem Weg zu bleiben hat. Der Zugang ins Mausoleum liegt zu dem Platz hin, auf dem Ho Chi Minh 1945 die Unabhängigkeit Vietnams erklärte.





Einige Stufen führen zum Eingangstor, dann führen Treppen hinauf zur Aufbahrungshalle. Ab jetzt herrschen sehr strenge Regeln – ordentliche Kleidung, keine Gespräche oder Telefonate, die Hände nicht in den Hosentaschen, und Fotografieren strengstens verboten. Es geht nicht einfach um schauen oder besichtigen, es geht eindeutig um Verehrung, so wie alles arrangiert ist. Lydia will nicht mit zum einbalsamierten Ho Chi Minh im Sarkophag – und unser vietnamesischer Reiseleiter hat mit ihr zusammen heftig zu tun, dies gegenüber den diensthabenden Offizieren durchzusetzen. Letztendlich darf sie die Abkürzung rechts raus gehen.


Ich steige die Treppe hinauf zur Empore, die um den Sarkophag führt. Alle paar Stufen achtet ein Offizier darauf, dass man leise ist und nicht vom vorgegebenen Weg abweicht, langsam aber doch zügig schreitet, nicht Unzulässiges tut. Auf der Empore wird der gläserne Sarkophag umrundet, in dem gut sichtbar der aufgebahrte einbalsamierte Ho Chi Minh liegt. Vier bewaffnete Offiziere stehen Wache. Es herrscht andächtige Stimmung.

Merkwürdig fühlt man sich nicht nur deswegen, sondern auch deshalb, weil man doch weiß, dass Ho Chi Minh so etwas nicht wollte, sondern verbrannt werden wollte und seine Asche in ganz Vietnam zerstreut werden sollte – und wenn man vorher noch gelesen hat, dass der Leichnam jedes Jahr für einige Wochen nicht zu sehen ist, weil er in Russland weilt, wo er „überarbeitet“ werden muss.



Vor dem Mausoleum liegt der große Paradeplatz mit der Tribüne, von der aus Ho Chi Minh am 2. September 1945 die Unabhängigkeit Vietnams erklärte. Als wir da sind, wird gerade an eine Gruppe eine Auszeichnung verliehen. Der Platz wird, so wie wir beobachten, auch gerne für Erinnerungsfotos genutzt. Nebenbei: Bei netter Anfrage haben sich alle Vietnamesen und auch die chinesischen Touristen gefreut, wenn wir ein Foto mit ihnen machen wollten.

Beim Platz liegt auch das neue Parlamentsgebäude, vor etwas mehr als zehn Jahren gebaut, und für uns überraschend von einem Hamburger Architekturbüro geplant und umgesetzt. Was für uns auf den ersten Blick nur ein modernes Gebäude ist, zeigt sich bei näherer Betrachtung als Versuch, Kreis und Quadrat in einem Bauwerk zu vereinen, symbolhaft für die Lebenswirklichkeit in Vietnam. Kreis und Quadrat sind Symbole für Himmel und Erde; das Zentrum des Gebäudes bildet der Plenarsaal mit einem Kuppeldach, gebaut fast wie ein Sternenhimmel; drumherum im umgebenden quadratischen Bau sind die Räume der Abgeordneten.

Wenige Schritte weiter befindet sich mitten in einer Parkanlage ein prächtiges Gebäude aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, der Präsidentenpalast, der auch einmal Parlamentsgebäude war und jetzt für Repräsentationszwecke genutzt wird – auch ein rundum beliebtes Fotomotiv, ob für Erinnerungen, Selfies oder für Hochzeiten, wie man sieht. Gebaut wurde dieses imposante Gebäude zwischen 1900 und 1906 interessanterweise auch nach Plänen zweier deutscher Architekten; genutzt wurde es vom Generalgouverneur der Franzosen bis 1954. Ho Chi Minh wollte nie in diesem Präsidentenpalast wohnen – er bezog zunächst einige Räume in den Nebengebäuden, dann ein Holzhaus im Park, im hohen Alter dann einige Räume in einem Gebäude im Park neben der Krankenstation.



Drumherum um diesen Präsidentenpalast gibt es einen sehr alten Baumbestand, riesige Bäume mit den seltsamsten Blattformen, Früchten und Wurzeln. Einer der Bäume nennt sich „Kanonenkugelbaum“, wie wir später erfahren, weil seine Früchte so aussehen. Andere Bäume haben Wurzeln, die hoch aus dem Boden aufragen wie kleine Wände oder am Stamm wie Stützbretter stehen; vermutlich sind es Kapokbäume. Bei wieder anderen Bäumen kommen Wurzelspitzen wie kleine Pyramidenlandschaften aus der Erde – es sind Sumpfzypressen, die Atemwurzeln ausbilden zur Durchlüftung der unterirdischen meist im Morast stehenden Pflanzenteile. Überall sind herrlich bunte Blüten zu sehen – entweder blühen die Bäume selbst oder die Pflanzen, die sich auf den Bäumen ein Plätzchen gesucht haben, oder auch das, was in den Parkanlagen gepflanzt wurde.





Etwas weiter im Park, an einem Teich, befinden sich die Nebengebäude mit den wenigen Zimmern, in denen Ho Chi Minh wohnte, samt Mobiliar, die Räume zweckdienlich und ziemlich einfach ausgestattet, entsprechend seinem anscheinend bescheidenen Lebensstil. Untergestellt sind in diesen Nebengebäude auch einige der noch erhaltenen Staatsfahrzeuge.









Der Park ist ziemlich mit Spaziergängern und auch Schulklassen belebt, vor allem die Wege entlang des Teichs – alle bewegen sich auf den Spuren Ho Chi Minhs, wollen eintauchen in Erinnerungen und die Geschichte des Landes, den Staatgründer ehren und etwas über ihn erfahren. Auch unser Reiseleiter äußert und bewegt sich trotz einiger nachdenklicher Anmerkungen in diesem Sinne.






Durch den Park geht es weiter, vorbei nicht nur an riesigen Bäumen, sondern dazwischen immer wieder auch an Ziergärten mit Blumen und Obstbäumen, einige davon mit Früchten dran, darunter auch der Ficus. In der Sonne glitzern Silberhütchen-Bäume – bei den Zitrusfrüchten werden große und kleine Pomelos mit Silberhütchen vor der Sonne geschützt. An Stegen und Brücken werden Fische gefüttert, die in Mengen zu diesen Stellen kommen und eine Vorstellung bieten – wild spritzendes, schäumendes Wasser, es plätschert und platscht, da sie dabei sogar aus dem Wasser springen. Ein imposantes Aufgebot an Offizieren in weißer Uniform zeigt nicht nur die Bedeutung des Parks und der Gebäude, sondern sorgt auch ohne Hinweise für ein „ordentliches“ Betragen – unterstützt durch einige Plakate, da anscheinend Kaugummi doch noch ein Problem darstellt.,



Etwas weiter im Park liegt dann das Ho Chi Minh Haus, das er später bewohnte, ein einfaches Stelzenhaus nach Vorbild der Häuser in den Bergen, im Erdgeschoss das Besprechungszimmer, im Obergeschoss die Wohnräume.






Gleich in der Nähe liegt eine kleine Krankenstation; hier wurde Ho Chi Minh behandelt, und hochbetagt wohnte er in einem der Räume.


Und auf dem Weg durch diese Anlage kamen bei uns von unserem Reiseleiter dann auch sehr viele Informationen über die Macht der Partei an, über wohlhabende Parteimitglieder, Verdienste und Einkommensunterschiede, Korruption und Spitzelsysteme, Disziplinierung und Willkür, aber auch zum Thema Chancen und Aufbruchstimmung. Vieles im Land sei im Vergleich zur Vergangenheit inzwischen deutlich besser und liberalisiert; aber nach wie vor würden mit strikter ideologischer Vorgabe diejenigen gefördert, die sich auf den „richtigen“ Weg begeben …
Wie immer zeigt sich so bei unserer Reise das spannungsvolle Verhältnis in Vietnam zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Ideologie und Wirklichkeit, den Problemen und zugleich dem Stolz auf das eigene Land. Und für uns geht es weiter, in die Vergangenheit. Gleich nebenan steht die älteste Pagode Vietnams – da geht es jetzt hin, und darüber berichten wir das nächste Mal.
(#Vietnam, #Hanoi, #Museum)