Vietnam – ein Mausoleum macht nachdenklich

Ho Chi Minh und ein Blick in die Geschichte

Vietnam- und Kambodscha-Reise,
Bericht 8

Noch ein Vormittag in Hanoi, richtig geschrieben wohl Hà Nội, der Stadt des aufsteigenden Drachens, bevor es zur Vịnh Hạ Long geht, der Bucht des absteigenden Drachens. Der Vormittag soll mit dem Ho Chi Minh Mausoleum starten – die Grabstätte, die Gedenkstätte und das Denkmal mit dem aufgebahrten Staatsgründers des heutigen Vietnam, und damit auch dem Begründer der Sozialistischen Republik mit der heute noch recht strikt agierenden kommunistischen Partei. Ein Tag, dessen Einstieg uns nicht sonderlich behagte – so ein wenig wollen wir uns vor dieser Besichtigung „drücken“, nicht am einbalsamierten Leichnam Ho Chi Minh’s vorbei gehen, ist doch gerade die jüngere Geschichte des Landes nicht nur bedrückend, sondern auch höchst ambivalent, stets präsent in der Gegenwart und sicherlich noch lange die Zukunft prägend.

Eigentlich möchte man auf Reisen nicht unbedingt mit der Politik und ihren übelsten Auswirkungen konfrontiert werden, mit sinnlosem Krieg, Gewalt, Zerstörung. Aber in Vietnam führt kein Weg daran vorbei – diese Vergangenheit begleitet uns auf Schritt und Tritt, ob in Kolonialgebäuden, zerstörten Kaiserpalästen, durch Hinweise auf Minenfelder, durch Denkmäler und Gedenkstätten, in Berichten unserer örtlichen Reiseleiter, oft verbunden mit eigener Lebensgeschichte.

Also beschäftigen wir uns wenigstens ein wenig damit – Erinnerungen auffrischen, schließlich hat man doch die Diskussionen und Proteste vor vielen Jahrzehnten, in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, etwas tiefer im Gedächtnis vergraben, gerne auch verdrängt. Man erinnert sich wieder an die Demonstrationen auch in deutschen Städten mit lauten „Ho Ho Ho Chi Minh“-Rufen. Und heute noch hört man oft die Songs aus dieser Zeit – inzwischen als völlig belanglos eingestufte und oberflächlich gehörte Pop- und Rockmusik, damals Protestsongs gegen den Vietnamkrieg. Der damalige Bezug ist längst vergessen, obwohl die Songs zusammengefasst sind in Samplern mit den Titeln wie „Good Night Saigon“ oder „Good Morning Vietnam“, und bei näherem hineinhören nicht immer nur einfach Rock- oder Schmusesongs, sondern voller deftiger Kommentare und Beschreibungen sind.

Hanoi - Geschichte - CD-Cover

Starten wir also zunächst noch nicht ins Mausoleum, sondern ein wenig hinein in die Geschichte Vietnams, um alles, was unsere Reise ausmacht, wenigstens ein wenig besser verstehen zu können.

Eigentlich zieht sich das Bestreben nach Unabhängigkeit durch die gesamte Geschichte Vietnams. Wechselnde Dynastien versuchten mehr oder weniger erfolgreich, das Gebiet zu konsolidieren, vor allem vom chinesischen Einfluss abzugrenzen. In dieser Zeit wechselten auch die Namen des Landes immer wieder – es hieß Nam-Viet, Annam oder Dai-Viet. Die Bezeichnung Viet Nam tauchte im letzten Kaiserreich der Ngyen-Dynastie zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Doch schon zu dieser Zeit geriet das Land ins Visier verschiedener europäischer Kolonialmächte, allen voran Frankreich, heute noch gut sichtbar in den Städten, an den Baustilen der Gebäude, die die Wirren der Zeit überlebt haben.

Ab Beginn des 19. Jahrhunderts bauten die Franzosen ihre Kolonialherrschaft in Ostasien immer mehr aus, wollten in dieser Region ein frankreichähnliches staatliches Gebilde schaffen – als Kolonialmacht fügten sie Ende des 19. Jahrhunderts Laos, Kambodscha und Vietnam zusammen zur französischen Kolonie Indochina. Heute noch zeigen sich Auswirkungen aus dieser Zeit, Veränderungen durch massive Abholzung von Tropenhölzern, Gummibaumplantagen, Kolonialbauten und noch mehr die aus dieser Zeit resultierende Kluft zwischen Arm und Reich, die auch die folgenden Systeme überdauerte, ob kapitalistisch oder kommunistisch.

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts formierte sich Widerstand gegen die französische Kolonialmacht, die das Land ausbeutete und mit allen Mitteln versuchte, ihre Interessen durchzusetzen. Gegen diese gewaltsame Kolonialisierung sprach sich in Frankreich nur die Kommunistische Partei aus. Mit dieser Positionierung zeichnete sie bereits die heutige Entwicklung Vietnams vor. Das zeigt sich auch an der Lebensgeschichte von Ho Chi Minh, der als junger Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Jahre in Europa verbrachte, vor allem in Frankreich, sich dort bei der Kommunistischen Partei mit dem Kommunismus beschäftigte, einhergehend mit dem Engagement gegen die Kolonialisierung Vietnams.

1941 marschierte Japan in Vietnam ein, übernahm die Macht. Ho Chi Minh formierte aus den Widerstandsgruppen die kommunistische Viet Minh, die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, wie es hieß gegen den japanischen Imperialismus und den französischen Kolonialismus – unterstützt auch von den Amerikanern bei deren Engagement gegen Japan. Nach den Atombomben der USA auf Hiroshima und Nagasaki kapitulierte Japan; Ho Chi Minh glaubte weiterhin an die Unterstützung durch die Amerikaner, aber diese hatten sich längst für den neuen Verbündeten Frankreich entschieden.

Ho Chi Minh erklärte im September 1945 die unabhängige Republik Vietnam, nach seiner Vorprägung und den Erfahrungen als Sozialistische Republik. Und Frankreich versuchte zugleich mit allen militärischen Mitteln, die alte Kolonialmacht wieder aufzubauen und führte bis 1954 in Ostasien mit aller Härte den sogenannten Indochinakrieg. In der Schlacht um die französische Dschungelfestung Dien Bien Phu gelingt den Vietnamesen 1954 dann der entscheidende Sieg. Frankreich muss seine Kolonien in Ostasien und damit auch das künstliche Gebilde „Indochina“ aufgeben. Nach der Niederlage Frankreichs wird Vietnam durch das Genfer Abkommen entlang des 17. Breitengrades geteilt. Im Norden entstand das vor allem von China unterstützte kommunistische Nordvietnam, im Süden das im sogenannten „Kalten Krieg“ der 50er- und 60-er-Jahre als „Bollwerk gegen den Kommunismus“ vom Westen stark unterstützte Südvietnam.

Im Norden wollte die KP zu Beginn der 50er-Jahre einen Kommunistischer Staat nach sowjetischem Vorbild entstehen lassen, durch Enteignung, sogenannte Säuberung und Agitation – ein Schreckenssystem, dem viele zum Opfer fielen, die es in der französischen Kolonialzeit zu mehr Wohlstand gebracht hatten oder verdächtig wurden, mit den Franzosen zu kooperieren. Im Süden sollte eine Demokratie entstehen, Basis der Antikommunismus, getragen von einem von den USA unterstützten Regime, das der katholischen Minderheit in Vietnam angehörte. Den Buddhisten wurden verschiedene religiöse Praktiken verboten. Es entwickelte sich ein korruptes System, das immer mehr Proteste in der Bevölkerung auslöste, bis hin zu Selbstverbrennungen von buddhistischen Mönchen als Zeichen des Protestes.

Hanoi - Geschichte - Briefmarken Kriegszeit

Nach immer desolateren Zuständen unterstützten die USA einen Militärputsch in Südvietnam, der weitere Eskalation, keinerlei Befriedung der Situation auslöste. Im „Kalten Krieg“ wurden Markierungen zwischen Ost und West gesetzt; die westliche „Duftmarke“ mit dem Signal „bis hierher und nicht weiter“ kam vom damaligen US-Präsidenten Kennedy in seiner Berliner Rede, in der auch die Aussage „Ich bin ein Berliner“ enthalten war. Die Markierung wurde über einen fingierten Vorfall geschaffen, mit der die USA eine immer stärkere militärischen Präsenz in Ostasien legitimierte – die schließlich in den Vietnam-Krieg einmündete, einen Krieg, von dem gesagt wird, dass es ein reiner „Stellvertreterkrieg“ gewesen sei. Vietnam wurde zur Plattform eines Krieges zwischen den beiden Machtblöcken West und Ost, ohne dass das Land selbst für diese von großem Interesse gewesen wäre.

Im März 1965 landeten die Amerikaner in Da Nang in Zentralvietnam, im selben Jahr begannen massive Luftangriffe der USA auf Nordvietnam, bis 1968 eskalierte die Situation immer weiter.

Die USA waren militärisch deutlich überlegen, konnten aber nicht gewinnen, da ein konkreter Gegner nie sicher auszumachen war. Die nordvietnamesische Armee stand nicht für sich, sie war aufgrund ihrer Vorgeschichte verwurzelt im Land, auch im Süden Vietnams, vor allem in der Bevölkerung und fand dort Rückhalt. Verstärkt wurde dies noch aufgrund der immer massiveren Einsätze der Amerikaner, bei denen diese letztlich auch jegliche Zurückhaltung gegenüber der Zivilbevölkerung aufgaben, wie sich bei den bekannt gewordenen Massakern zeigte.

Je länger der Krieg dauerte, desto unverständlicher die Maßgaben. Amerikanische Offiziere mussten zum Beispiel Listen führen, wie viele Vietnamesen ihre Untergebenen erschossen haben – befördert wurde, wer die längsten Listen vorweisen konnte. Geschätzt wird, dass die Amerikaner 14 Millionen Tonnen Bomben und andere Munition im Vietnamkrieg einsetzten – fast doppelt so viel wie im Zweiten Weltkrieg. Späte Folgen zeigen sich immer noch entlang der Straßen, wo immer wieder Musikgruppen zu sehen und hören sind – Kriegs- und Minenopfer, die Geld sammeln.

Nach vielen Protesten auch in den USA folgte 1969 die Entscheidung zum schrittweisen Truppenabzug und der sogenannten „Vietnamisierung“ des Krieges – die Bombardierung des Landes durch die USA dauerte jedoch noch bis 1973 an, ebenso wie der massive Einsatz von Entlaubungsmitteln, dem sogenannten „Agent Orange“ – von den Soldaten so benannt wegen der Farbe der Beschriftung auf den Etiketten der Fässer. Es wird angenommen, dass mehr als 70 Millionen Tonnen Herbizide abgeworfen wurden, die heute noch Auswirkungen auf die Vegetation einschließlich der Vergiftung von Böden haben. Von den Tropenwäldern, die vor dem Krieg Vietnam bedeckten, verblieben nur noch verstreute Überbleibsel. 1973 war der offizielle Ausstieg der USA aus dem Krieg, es gab aber trotzdem die weitere Unterstützung der südvietnamesischen Truppen durch Waffenlieferungen.

Dokumentiert wird diese Zeit anhand vieler Exponate im Historischen Museum in Ho Chi Minh-Stadt. Beeindruckend dort auch ein Modell, anhand dessen die unterirdischen Städte und Tunnelsysteme veranschaulicht werden, in denen während des Vietnamkriegs vor allem in Zentralvietnam gelebt und von denen aus gegen die Amerikaner gekämpft wurde.

Noch eindrücklicher wird es auf unserer Reise werden, wenn wir in den Dörfern Handwerker sehen werden, die aus Geschosshüllen Kuhglocken herstellen, aus Bomben-Blindgängern Glocken für Pagoden, aus Geschosshüllen Küchenutensilien für die Puffreis-Produktion, wenn Militärhelme zu Motorradhelmen und alte Militärfahrzeuge als Transporter eingesetzt werden, und bedrückend, wenn man in den Straßen Kriegsopfer von damals und Minenopfer von heute sieht. Und noch immer brennen in den Straßen, zum Beispiel in Hue, am Abend die kleinen Feuer an der Straße mit guten Wünschen und symbolischen Gaben für all diejenigen, die in dieser Straße ums Leben gekommen sind.

1975 kam dann der Sieg der nordvietnamesischen Truppen, 1976 die Wiedervereinigung Vietnams als Sozialistische Republik – nach der sich Umerziehungsmaßnahmen und soziale Deklassierung für diejenigen ergaben, die der Kollaboration verdächtig waren. In dieser Phase flüchteten viele Vietnamesen, wobei sich die Zahlen stark unterscheiden, von deutlich unter einer Million bis zu eineinhalb Millionen.

Aber auch danach entstand keine Ruhe in Vietnam. Es folgten Auseinandersetzungen mit dem Schreckensregime der Roten Khmer in Kambodscha, Krieg und Besetzung dieses Landes. Während dieser Zeit gab es dann auch Auseinandersetzungen mit dem bisherigen Verbündeten China, der die Roten Khmer unterstützte.

Man könnte endlos weiterschreiben. Gewalt allenthalben, auf allen Seiten. Der Blick fällt auf die Leidtragenden, die Menschen und das Land. Oft wird der Blick auf diejenigen gerichtet, die die Gewalt konkret ausüben, in der jeweiligen Auseinandersetzung stehen, die vielleicht gar entgleisen. Aber die Gewalttäter sind im eigentlichen Sinne die Politiker, die aus Macht- und Ideologiegründen solche Auseinandersetzungen verantworten.

Hanoi - Politplakat

Kurz noch zu den Fotos, die auf dieser Seite zu sehen sind, die ein wenig den Text illustrieren. Die ersten Bilder zeigen das Mausoleum samt Wachtposten und den Paradeplatz. Auf vielen Briefmarken ist Ho Chi Minh abgebildet, auch Hüllen von Präsentkarten zeigen ihn. Immer wieder kann man einen Blick auf Räume werfen, in denen Abbildungen von Ho Chi Minh hängen, manchmal sind es fast kleine Altäre. Die Fotos mit dem Mönch zeigen den dramatischen Beginn der Proteste gegen das korrupte südvietnamesische Regime. Die Zitadelle und die zerschossenen Mauern gehören zum alten Kaiserpalast in Hue, der von den Amerikanern weitgehend zerbombt wurde, da Ho Chi Minh diesen als Quartier im Vietnamkrieg nutzte; auch die Gedenkfeuer werden in dieser Stadt angezündet. Briefmarken zeigen Szenen aus dem Krieg, das Modell eine der unterirdischen Städte, in die sich die Vietnamesen in vielen Regionen in dieser Zeit zurückzogen. Der Turm mitten in der Landschaft zeigt in etwa, wo einmal eine der Grenzen zwischen Nord- und Südvietnam während des Vietnamkrieges verlief, die anderen Fotos den ehemaligen Regierungssitz Südvietnams, davor zwei Panzer, die mit Einnahme des Gebäudes den Sieg des Nordens gegen den Süden besiegelten. Und überall in den Städten: Plakate, die Aktivität und Fortschritt symbolisieren sollen. Um all das und mehr wird es aber noch in weiteren Reiseberichten gehen.

Wir haben uns einen Ausflug in die Geschichte geleistet. Jetzt steht der Entschluss, uns wenigstens ein wenig mehr der Geschichte zu stellen, also zum Mausoleum zu gehen, auch zum Ho Chi Minh-Haus, und uns dann weiter in Hanoi umzusehen. Dazu mehr im nächsten Bericht.

(#Vietnam, #Hanoi, #Museum)

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