Eine Woche ist ist vergangen, seit die verheerende Flutwelle das schmale Ahrtal verwüstete. Wir leben, seit wir uns aus unserer Wohnung evakuieren lassen haben, in einem Kontrastprogramm, pendelnd zwischen der kleinen Stadt Remagen am Rhein, in der wir untergekommen sind, und unserer Wohnung in Bad Neuenahr – leben einigermaßen gut in einem kleinen Hotelzimmer, haben aber ständig auch die Ereignisse im Tal in Sicht. An der Fähre, die von der anderen Rheinseite nach Remagen hinüberführt und von wo aus ins Ahrtal geht, stauen sich schon frühmorgens schon Kolonnen von Feuerwehrfahrzeugen auf dem Weg zu ihrem Einsatz.

In Remagen ist nur der Rhein etwas über die Ufer getreten. Aber überall hört man von den Geschehnissen im Ahrtal von denen, die jetzt hier wohnen, irgendwo, weil ihre Wohnungen im Ahrtal unbewohnbar sind, oder auch von denen, die als Helfer unterwegs sind. Viele Informationen kommen auch per Telefon von Freunden und Bekannten bei uns an – und im Tal gibt es, wie uns immer wieder drastisch vor Augen geführt wird, wenn wir zur Wohnung fahren, überall nur Zerstörungen.


Hilfsbereitschaft und Hilflosigkeit
All das, was zu hören ist, klingt höchst ambivalent. Da ist immer die große Hilfsbereitschaft, von der gesprochen wird, nicht nur durch diejenigen, von denen man es erwartete, weil es ihre Aufgabe ist, sondern auch von privater Seite, von Nachbarn und Vereinen, zum Beispiel auch von Gruppen von Jugendlichen, die mit Schippen und Schaufeln von Haus zu Haus ziehen, oder von Menschen, die hunderte Kilometer gefahren sind, Urlaub genommen haben, und jetzt helfen. Mitten im herrschenden Chaos, zwischen Schutt und Müllbergen, und ohne sich großartig um Zuständigkeiten und Organisation zu kümmern wird Hilfe geleistet. Direkt, schnell und unkonventionell. Die Betroffenheit ist überall groß; es geht darum, zusammen zu halten und sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen.

Die Stimmung wird aber auch etwas gereizt, vor allem wenn darüber gesprochen wird, wie wenig von den Behörden informiert wurde und vor allem wie wenig die Hilfen strukturiert werden – da sei mal wieder private Initiative gefragt. Und noch heftiger wird es, wenn darüber gesprochen wird, dass höchst verspätet, aber meist gar nicht im unteren Ahrtal gewarnt wurde, obwohl an der oberen Ahr, in Schuld oder Insul, längst alles schon unter Wasser stand – und viele Kilometer später zum Beispiel in Bad Neuenahr vielleicht beraten, aber nicht gehandelt wurde. Wenn dann noch jemand mitbekommen hatte, dass der Deutsche Wetterdienst schon lange vorher warnte, dann werden die Anmerkungen sehr deftig.

Das bleibt hängen – und verhaftet sich in den Erinnerungen all derer, die viel oder alles verloren haben, vielleicht gar Familienangehörige, Freunde und Nachbarn – nicht nur bei denen, die stundenlang auf dem Dach sitzen mussten, nicht wissend, ob noch ein Hubschrauber kommt und sie rettet, oder bei denen, die bei Aufräumarbeiten an Brücken entlang des Flusses jetzt bei rückgängigem Wasserpegel im Geäst hängend einiges finden, das sich dort nie finden wollten, ebensowenig wie in Tiefgaragen oder im Keller, in dem eigentlich nur nasse Aktenordner entfernt werden sollten, oder dem jungen Baggerfahrer, der plötzlich beim Aufräumen nicht nur Geröll und Schutt auf der Schaufel hatte.
Lebensgeschichten und Lebensentwürfe haben sich zwangsweise geändert – bei den einen einschneidend, aber im Vergleich doch eher erträglich, bei anderen endgültig und tragisch. So fatal das klingen mag – da sind nicht nur diejenigen oft traumatisiert, die es direkt getroffen hat, sondern oft auch diejenigen, die helfen.
Ein Tal ist kaum mehr erkennbar
Auf der Fahrt von Remagen ins Ahrtal hinein mag man im Bereich des Taleingangs fast nicht glauben, dass hier vor wenigen Tagen irgend etwas Ungewöhnliches passiert ist – entlang des Tales bewaldete Hügel, in der Sonne glänzende Kornfelder, einige Streuobstwiesen. Inzwischen sind wir ja wieder mobil, haben über die Versicherung ein Ersatzfahrzeug erhalten.
Eher befremdlich dann die Situation im ersten Ort, Bad Bodendorf. Absperrungen durch die Polizei, Kontrolle, wer in bestimmte Ortsteile einfahren darf. Dann ungläubiges Staunen, als es über die derzeit einzige befahrbare Brücke geht, die sonst die Bahn, die Ahr und eine vierspurige Schnellstraße überquert (eine andere Brücke ist auch befahrbar, aber nur für Rettungsfahrzeuge).

Darunter befindet sich jetzt ein unglaublich breites, steiniges Flussbett, wie man es sonst nur von reißenden Gebirgsflüssen nach der Schneeschmelze kennt – und mittendrin der inzwischen wieder ziemlich schmalere, kleine Fluss namens Ahr. Die Schnellstraße, die wurde von der Ahr zwischenzeitlich als zusätzliches Flussbett benötigt, deshalb sind die Fahrspuren teilweise weggerissen.
Es geht durch den Weinort Heimersheim, der einmal mittelalterlich geprägt war. Davon ist aktuell nichts zu spüren. Links und rechts der Straße türmen sich Müllberge – wobei das ein falscher, eigentlich despektierlicher Begriff ist. Das sind eher Lebensberge, weil hier all das, was Menschen im Leben für ihren Lebensalltag wichtig war, entsorgt wird. Wirklich alles, was einmal das Leben in einem der Häuser ausmachte, liegt hier zertrümmert, zerrissen, gestapelt, überzogen mit Modder, der aus den Kellern und Erdgeschossen geschippt wurde, auf einem Berg.

Befahrbare Straßen gibt es oben in den Hängen von Bad Neuenahr. Wer zur Wohnung im Zentrumsbereich will, fährt hier durch, und dann hinunter in die Schlamm-Landschaft. Wir auch. Was sich auf der Straße vor unserer Wohnung tut, wird immer erschreckender. Zwar wird überall gearbeitet und geholfen. Trinkwassertanks sind aufgestellt und mobile Toiletten auch. Diejenigen, die sonst mit ihren Trucks auf Märkten stehen und Essen verkaufen, haben ihre Fahrzeuge irgendwo zwischen den Unrat-Bergen aufgestellt und verteilen Essen und Getränke an die Arbeitenden. Mit Lastwagen wird all das abgefahren, was entlang der Straße liegt; immer wieder sieht man auch einen Landwirt mit Trecker und Anhänger. Das THW ist mit schwerem Gerät unterwegs, und immer wieder versucht sich ein Rettungsfahrzeug mit Signalhorn den Weg zu bahnen. Das erste Haus in der Nähe ist abgerissen.

Die Straßen sind zum Teil so eng geworden, dass gerade noch eine Fahrspur verblieben ist. Überall riecht es nicht nur muffig – und besonders unangenehm ist es, wenn dann getrockneter Schlamm noch durch die Fahrzeuge aufgewirbelt wird.
Unsere Wohnung ist nur auf Umwegen erreichbar. Überall sind Räumungs- und Entsorgungsfahrzeuge zu sehen, Feuerwehr, THW, Bundeswehr, Polizei, auch Lastwagen, Bagger und Raupen von Privatfirmen.

Schlamm, Müllberge und dicke Luft
Das Schlimme und Bedrückende ist: Man hat nicht den Eindruck, dass sich etwas gebessert hat. Die Keller sind ausgepumpt, das Wasser ist weg, der Schlamm ist geblieben. Eine Schicht von zehn bis zwanzig Zentimeter waren es in den Kellern und Garagen, etwas weniger in den höher liegenden Erdgeschosswohnungen; wer ungünstig lag, hat auch mehr abbekommen. Eimerweise wird der jetzt aus den Häusern getragen, auf die Müllberge geworfen, die vor ein paar Tagen noch weitgehend aus Möbeln und allerlei Hausrat bestanden. Alles wird wieder nass und feucht, sackt in sich zusammen – und ein fürchterlicher Geruch liegt in dem, was man als Luft bezeichnen sollte. Eine Schlamm- und Matschlandschaft; auch die Straße, die vor ein paar Tagen zwar staubig, aber einigermaßen trocken war, ist wieder nass und glitschig.

Bei uns Zuhause ist der Kellerbereich immer noch nicht wirklich zu betreten. Einmal haben wir kurz hineingeschaut, durch einen Seiteneingang. In unserem Keller – da ist nichts mehr raus zu holen. All das, was da mal war, ist dahin. Eines wird wohl immer ein Rätsel bleiben – wie es im ziemlich kleinen Kellerraum die fast raumhohe, schwere Kühl-Gefrier-Kombination, die eigentlich sehr unbewegbar links und rechts eingepasst war, es geschafft hat, sich aus dieser Nische herauszubewegen, sich dann stehend um 180 Grad zu drehen und schließlich so umzufallen, dass sie wieder eingepasst war – nunmehr liegend zwischen linker und rechter Wand.

Im Treppenhaus ist die Luft so schlecht, dass wir froh sind, oben in der Wohnung anzukommen – und wieder sind wir froh, dass wir so weit oben wohnen, und nicht vor all den Problemen stehen, die alle unten in den Erdgeschossen haben. Man hat fast schon ein schlechtes Gewissen, weil man so davon gekommen ist. Wir haben nur das hausgemachte Chaos in der Wohnung, das sich nach gut drei Tagen ohne Wasser und Strom mit Matsch vor der Haustüre so ergeben hat.
Nebenbei: All die Fotos hier auf all den Ahrtal-Seiten sind ganz schnell und eher heimlich entstanden, bei einem Rundgang in der Nähe unserer Wohnung oder auf der Fahrt zwischen Remagen und Bad Neuenahr irgendwie aus dem Auto heraus. Fotos mag man in dieser Situation eigentlich keine machen, und doch möchte man das tun, damit all das was zu sehen ist nicht in Vergessenheit gerät – man fühlt sich schlecht dabei, die Kamera zu zücken, um all dies zu fotografieren.

Man fühlt sich selbst fast in der Komfortzone – und schaut ein wenig versonnen hinunter auf die Stadt, und denkt ein wenig an die Zeit, als irgendwann vor der Flut das obige Foto aus dem Küchenfenster heraus aufgenommen wurde.
(#Deutschland, #Ahrtal, #Katastrophe)