Wir waren immer begeistert von unserem Ausblick auf Bad Neuenahr. Ein weiter Blick über die kleine Stadt, das Tal abgegrenzt von den nahen Weinbergen, direkt vor uns die Ahrtherme. Jetzt zeigt sich uns weit und breit nur eine solch umfassende Zerstörung, dass man gar nicht glauben mag, dass hier mal eine lebenswerte Kleinstadt war und eine solche irgendwann wieder entstehen könnte. Die Straßen sind voll mit all dem, was aus den Häusern entsorgt werden musste.

Etwas mehr als eine Woche ist es her, seit die Flutwellen durch die Stadt gelaufen sind. Wo man hinsieht, sind die Häuser verwüstet, bis weit hinauf nass und mit Schlamm bespritzt, Fenster und Türen herausgerissen. Einige Häuser sind bereits abgerissen. Die Luft ist stickig und modrig, gewürzt mit den Abgasen der Räumfahrzeuge und dem, was Kanalisation und Ölheizungen auch auf der Straße hinterlassen haben.

Überall wird gearbeitet – immer noch wird zerstörter Hausrat aus den Häusern geschleppt, eimerweise Müll und Schlamm auf die Straße hinausgetragen, Fenster und Türen in den Erdgeschoßbereichen herausgenommen, bei einigen Häusern schon Verputz abgeschlagen. Es ist beeindruckend, wie alle trotz der Hoffnungslosigkeit, die die ganze Szenerie ausstrahlt, aktiv sind und auch zusammen helfen, um die Probleme anzugehen.
Wenn ich mir aber Neuenahr so anschaue, schleicht sich trotz aller Aktivitäten das Gefühl von Hilflosigkeit ein, die sich da zeigt. Ich gehe davon aus, dass bei allem guten Willen und Engagement die Stadt trotzdem noch lange eine etwas muffige Geisterstadt mit Hilfs-Infrastruktur sein wird, und das Tal dahinter – das ist für lange Zeit nicht mehr existent, zumindest nicht so, wie man es kannte, da die Dörfer wie Altenahr, Dernau oder Mayschoß samt den Zugangsstraßen zerstört sind.

Es klingt ein wenig fatal – es ist gut, dass alle sich mit aufräumen beschäftigen können. Das hilft, sich besser zu fühlen – gemeinsam mit anderen etwas getan zu haben, und nach Vorne zu blicken. So wirklich nützen wird dies nur in mittelfristiger, wenn nicht gar langfristiger Perspektive; es gibt kaum die Ressourcen, alles womöglich kurzfristig wieder aufzubauen. Dazu ist einfach viel zu viel kaputt – ob Häuser, Straßen, Leitungen, Schienen, Weingüter, Handwerksbetriebe, Metzgereien und Bäcker, Hotels, Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, einfach alles …



Eigentlich sind es die Lebensentwürfe, die zerbrochen sind und zerstört wurden, vor allem bei denen, die auch noch Familienangehörige, vor allem Kinder, und Freunde verloren haben. Und das sind nicht wenige. Auch diejenigen, die die Schrecken der Flut hautnah erlebt haben, sind für ihr Leben gezeichnet.
Zerbrochene Lebensentwürfe, wenig Perspektiven
Für viele, die jetzt noch mitten im Aufräumen stecken, werden die Probleme erst wirklich dann aufbrechen, wenn diese Phase des Aktionismus vorbei ist. Noch wird gerne verdrängt, dass das Tal lange in weiten Teilen unbewohnbar bleiben wird. Vieles kann repariert und wieder aufgebaut werden. Aber das Leben mit der Vergangenheit, nämlich der Flutkatastrophe mit all dem, was sie an Schrecken gebracht hat, wird bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie hier das Alltagsleben in ein paar Jahren wieder aussehen kann.



Erst später wird realisiert werden, dass es eben nicht nur um Sachwerte geht, sondern um Menschen, die hier gelebt haben und weiterleben werden, mit Erinnerungen an die Flutkatastrophe und an die Vielen, die fehlen werden, Familienangehörige, Freunde, Nachbarn …
Hilfe und helfen
Selbst bei denjenigen, die helfen, wird nicht nur das gute Gefühl bleiben, geholfen zu haben – die Bilder werden im Kopf bleiben, von Zerstörung und noch mehr von all dem, was bei Bergungen zu sehen war, und was man nie im realen Leben sehen wollte. Jetzt schon fehlen vor allem die psychologischen Hilfen, für diejenigen, die ihr Zuhause, aber noch mehr für diejenigen, die Familienangehörige verloren haben – und für diejenigen Helfer, die gerade in diesem Bereich arbeiten und Szenen vor Augen haben, die sie sicherlich nie im Leben sehen wollten.
Noch stehen die „Sachwerte“ sehr im Vordergrund – aber in einigen Monaten, da wird es mehr um das gehen, was „Lebenswerte“ sind.



Man weiss nicht so recht, ob man diejenigen, die hier so richtig verwurzelt sind und sich ein „nichts wie weg“ weder vorstellen noch leisten können, sondern ein „jetzt erst recht“ schmettern, bedauern oder bewundern soll.
Wir selbst stehen irgendwie dazwischen, können uns für einen Weg entscheiden. Gut, dass wir selbst so gut davon gekommen sind. Noch besser, dass wir eine Familie haben, in der man sich zwar nicht häufig sieht, aber zusammenhält, wenn es drauf ankommt. Einfach so.
Fast zu früh – nachdenkliche Blicke nach Vorne
Abstand vom Ahrtal ist dringend nötig. Ein Blick von oben, aus unserer Wohnung heraus, bestätigt uns das. Nach den in ein paar Tagen wieder gemachten Erfahrungen möchte man einfach weg sein.


Unterstützt wird dieses Bestreben auch dadurch, dass m Tal ernsthaft über längerfristige Probleme mit Frischwasser und Abwasser diskutiert wird (Wasserwerke, Klärwerke, Wasserspeicher, Leitungen – alles beschädigt oder hinüber); gesprochen wird über Seuchengefahr, weil die Inhalte der Klärwerke und der Kanalisation durch die Straßen geschwemmt wurde, sogar über eine drohende Rattenplage, weil die Abfälle in den Straßen, einschließlich all der schnell verderbenden Lebensmittel, die dort mit landeten, nicht zügig entsorgt werden können, auch darüber, dass man nicht in Berührung kommen solle mit dem Schlamm, da dieser vielerorts mit all dem kontaminiert sei, was das Wasser an belastenden oder gar giftigen Stoffen mitgeschwemmt hat …
Wir haben uns entschieden, zunächst einmal zeitlich eingegrenzt Abstand einzuplanen, und unsere sicher für längere Zeit unbewohnbare Wohnung gegen die etwas entfernter liegende Ferienwohnung im Sauerland, die einem meiner Brüder gehört, zu tauschen – und von diesem Aufenthalt gibt es jetzt ein paar Fotos, die man sonst eher in den Beiträgen auf „Traumreisezeiten“ findet.







Wir nutzen die Zeit, um darüber nachzudenken, wie wir uns für die nächsten Jahre organisieren. In unserem Lebensalter vor Augen zu haben, gut und gerne fünf oder zehn Jahre in einer in dieser Zeit lauten, muffigen Stadt im Wiederaufbau ohne nennenswerte Infrastruktur zu leben, ist nicht gerade traumhaft. Wir werden also intensiver nachdenken müssen, was wir in den nächsten Jahren tun möchten, wo unser Lebensmittelpunkt sein soll.
Es geht also bedingt durch das Ereignis im Ahrtal auch zwangsläufig darum, das eigene Leben für den nächsten Lebensabschnitt neu zu erfinden. Manchmal braucht man ja so einen Anstoß, das Leben etwas neu zu organisieren. Wir kennen den Weg wirklich nicht. Das ist nicht einfach, manche würden es als Problem bezeichnen – weit besser ist es, das als Chance zu sehen, etwas Neues und vielleicht gar Ungewöhnliches zu tun. Mit Blick auf das Ahrtal sollte man meinen, dass dies auch die Sichtweise der politisch Verantwortlichen sein müsste – aber irgendwie hat man verlernt, bei diesen perspektivisches Denken zu vermuten.
(#Deutschland, #Ahrtal, #Katastrophe)