Rouen und die Seine – Fluss-Kreuzfahrt mit dem Hochsee-Schiff

Entlang des Ärmelkanals mit der MS Deutschland – Bericht 7

Quer über den Ärmelkanal geht es nach Frankreich, aus der Grafschaft Dorset in die Normandie, über Nacht. Jetzt ist ein besonderer Streckenabschnitt angesagt, eine Flusskreuzfahrt mit dem Hochseeschiff, die Seine hinauf in Richtung Paris, bis nach Rouen. Früh am Morgen geht es vorbei an Le Havre, direkt hinein in den Mündungsbereich der Seine, hindurch unter der längsten Brücke Europas, die hier die Seine überspannt. All das bekommen wir nur so ein wenig im Halbschlaf mit, wachen gerade so auf, und das Foto der Brücke entsteht durch das nicht so ganz glasklare Kabinenfenster.

Der Pont de Normandie ist mehr als zwei Kilometer lang und 203 Meter hoch; sogar beim höchsten bekannten Wasserstand können noch Schiffe mit einer Höhe von 52 die Brücke durchfahren.

Noch ist die Seine relativ breit, die Ufer sind fast wie ein Kanal befestigt, das Land dahinter recht flach, landwirtschaftlich genutzt.

Schnell wird das Tal enger, es geht hinein in die verwundenen Schleifen des Flusses, vorbei an kleinen Orten mit ihren oft ziemlich dominierenden Kirchbauten, oder auch an Herrenhäusern und kleineren Chateaus.

Immer häufiger zeigen sich entlang der Ufer in heftigem Kontrast zu den Grüntönen der Wiesen und Bäume die hellen Kreidefelsen.

Spätestens ab Caudebec-en-Caux fällt vor allem auf, dass die Lagerräume, die in früheren Zeiten in die Felsen hineingeschlagen wurden, immer noch für Lagerzwecke genutzt werden; an Felswänden neben vielen Gebäuden sind im Gestein Türen und Tore erkennbar.

Die MS Deutschland dürfte so ziemlich zu den größten Schiffen gehören, die diesen Weg durch die Seine nehmen können. Unterwegs begegnen uns an sich nicht kleine Frachtschiffe und Flusskreuzfahrtschiffe, aber vom obersten Deck unseres Schiffes muten sie doch ziemlich klein an. Oft hat man auch den Eindruck, dass es in der Fahrrinne der Seine etwas eng wird.

Je näher wir Rouen kommen, desto mehr nehmen die Industrieanlagen entlang des Flusses zu; Rouen ist einer der größten Binnenhäfen Frankreichs.

Immer wieder stellt sich die Frage, ob nicht all das, was sich hier entlang des Flusses an Industriebauten und Technik zeigt, weit beeindruckender, oft gar filigraner und kunstvoller ist als all das, was nachher in der Stadt an Sehenswürdigkeiten zu bewundern ist. Industriekultur und Industriekunst. Glänzende Stahltanks und Kuppeln, wild ineinander verwobene Rohrsysteme, Hebearme und Magnethalterungen, bunte Kabeltrommel … Alles irgendwie auch Kunst, ohne diesen Anspruch erheben zu wollen.

Angelegt wird in Rouen so nahe wie möglich an der Stadt, an einem Anlegeplatz inmitten von Silos und Ladekränen – und doch sind es fast drei Kilometer in die Stadtmitte, so dass eine Fahrt mit dem Shuttlebus unumgänglich ist, man möchte ja die Zeit in der Stadt verbringen, nicht auf dem Weg dahin und zurück.

Im Zentrum erwartet uns dann eine unglaubliche Altstadt, eine Ansammlung unzähliger alter Gebäude, städtisch groß, und doch aus vielen vergangenen Jahrhunderten, entlang oft sehr enger Gassen mit hohen Fachwerkhäusern, die Hölzer vielfach erstaunlich vielfältig und kreativ beschnitzt.

Die gotische Kirche Saint Maclou scheint sich zwischen den alten Gebäuden manchmal regelrecht zu verstecken. Ganz in der Nähe liegt dann auch eine der ältesten Friedhofsanlagen Frankreichs, der Aitre Saint Maclou aus dem Mittelalter, ein Pestfriedhof – eine der besonderen Sehenswürdigkeiten von Rouen. Man geht hin, erwartet einen Friedhof, und sieht einen kiesbedeckten Innenhof. Kaum verständlich, was da so bedeutsam sein soll. Nur durch kurzes Nachlesen erschließt sich der Hof samt umgebendem Bauwerk, wird alles verständlich und zugleich erstaunlich. Es ist ein sogenannter Galeriefriedhof aus dem Ende des 15., beginnenden 16. Jahrhundert, als wegen der Pest die Bestattungsplätze nicht ausreichten. Um Platz auf dem eng werdenden Friedhofsgelände zu schaffen, wurden die Gebeine der schon länger Verstorbenen wieder ausgegraben, und in den den Friedhof umschließenden Galerien aufgehängt, die Gebäude so erstellt, dass sie für damalige Verhältnisse gut belüftet waren. Die Verzierungen an den Galerien – makaber; Totentanz, tanzende Paare mit einem Lebenden und einem Toten, aneinander gefesselt. Die Botschaft – aus heutiger Sicht kaum verständlich. Mit dem Totentanz soll die christliche Botschaft verbreitet werden, dass man sich gut auf das ewige Leben vorbereiten solle.

Aus den engen Gassen heraus ist immer wieder in Sicht die mächtige gotische Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert mit ihren höchst unterschiedlichen Türmen, Krönungsort der normannischen Könige. Einer der Türme ist wegen Renovierungsarbeiten so verkleidet, dass er den Eindruck vermittelt, er habe sich der Industriekultur vor den Stadttoren und auch dem Stil der Umgebung angepasst.

Draußen eine Baustelle, drinnen noch mehr, aber gerade die Absperrungen und die Gerüste schaffen besondere Akzente – wenn zum Beispiel Skulpturen von Kirchenfürsten und Heiligen hinter Baustellenabzäunungen stehen die den Anschein vermitteln, als würde ihnen der Zugang zur Kirche oder den Gläubigen verwehrt.

Die stählernen Gerippebauten bilden eher das Gewölbe nach und erwecken den Eindruck, als entstände eine moderne Kirche inmitten des Altbaus.

An einem der Wahrzeichen von Rouen muss man vorbeigehen, der großen astronomischen Uhr, der Le Gros Horloge aus dem Ende des 14. Jahrhundert, die über 500 Jahre lang in der Stadt die Zeit anzeigte.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der Justizpalast aus der Renaissance, einst gebaut als Parlament der Normandie. An diesem Gebäude sind an einigen Seiten noch die Einschusslöcher aus dem vergangenen Krieg zu sehen – irgendjemand kam auf die Idee, einige davon mit Lego-Bausteinen auszubauen. Hätten wir es bei unserem Besuch schon gewusst, wären wir in diesem Gebäude ins La Maison Sublime gegangen, das älteste jüdische Denkmal Frankreichs, dessen Anfänge über 900 Jahre zurückreichen.

Im Jeanne d’Arc-Museum waren wir nicht, aber in der modernen, immer noch umstrittenen Kirche Sainte Jeanne d’Arc mitten in der Stadt, die auch ihren Namen trägt – ein eindrucksvolles Bauwerk auf dem Platz, auf dem sie verbrannt wurde. Von außen ist es ein eher ungewöhnlicher Betonbau, stylisch, aber nicht so recht zum sonstigen Stadtbild passend – wenn man es weiß, dann ist es offensichtlich, das Dach soll einen Scheiterhaufen symbolisieren. Drinnen beeindrucken die historischen Fenster, erhalten von St. Vincent, einer Kirche aus dem 16. Jahrhundert, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde – eindrucksvolle Darstellungen von biblischen Geschichten und Heiligengeschichten. Am Eindrucksvollsten ist jedoch das Licht im Innenraum, vor allem dann, wenn sich die Lichtverhältnisse draußen ändern, die Sonne scheint, manchmal Wolken aufziehen. Dann zeigt sich ein unvergleichliches Farbenspiel. Licht strömt geradezu durch den Kirchenraum, Die Fenster strahlen abwechselnd in ihren kräftig bunten Farben; überall im Raum zeigen sich Farbflecken, mehr oder weniger intensiv. Ein fröhlich-buntes, stimmungsvolles Bild – das so gar nicht daran erinnert, dass hier im Innenraum bei der Gestaltung des Raumes an das brennende Feuer gedacht wurde. Aber vielleicht ist ja gerade die Ambivalenz dessen, was sich zeigt, auch das, was die Geschichte der Jeanne d’Arc ausmacht.

Natürlich gibt es überall leckerste Dinge, wie es sich für eine französische Stadt gehört – Käse, Fisch, Fleisch und Wurst, Pasteten, Baguettes, Törtchen, Pralinen … Vorbei geht es am Markt, der direkt und im Stil ähnlich an die Kirche angrenzt, auch an einigen Geschäften, bei denen man ein wenig traurig ist, nicht einkaufen und selbst kochen und braten zu können. Egal was es ist – Qualität und Auswahl sind unvergleichlich.

Was da an einer Käsetheke versammelt ist, kann kaum übertroffen werden. Käse aus Ziegen-, Kuh- und Schafsmilch. Hier finden sich so ziemlich alle großen Namen aus der Käsewelt nebeneinander, natürlich viele Rohmilchkäse darunter, die fröhlich und geschmackvoll vor sich hin reifen dürfen, und ziemlich viel gibt es in unterschiedlichen Reifegraden. Charlois, Epoisses, Ste. Maure, Cendrè de Niort, Rouelle, Barot, Petit Fiancè, Bonde de Gatine, Valencay, Brie de Meaux, Poulinetoises, Bleu d’Auvergne, Le Claousou, La Roda, Langres, Fleur du Marquis, Brebis A Viletta, Bouyguettes, Pavè d’Auge, Liavrot, Neufchatel, Saint Nectaire, Tomme des Bauges, Morbier. Und so weiter. Hier liegt alles, auch von kleinsten Produzenten – man kommt sich vor als hätte jemand für eine Käse-Enzyklopädie gesammelt.

Museen gibt es viele – wir wollten uns ein Ungewöhnliches vornehmen, das Musée Le Secq des Tournelles, das Museum der Schmiedekunst, untergebracht in einer ehemaligen Kirche. Kaum zu glauben, was da alles gesammelt wurde. Nicht einfach nur Kerzenhalter, Geländer oder Zierschilder. Eindrucksvoll sind die Schlösser und Schließsysteme samt den Schlüsseln, sortiert nach Jahrhunderten, die ältesten weit über ein Jahrtausend zurückdatierend.

Türklopfer mit Motiven aus der Tierwelt, Fäusten, Händen oder Köpfen. Uralte Kaffeespender und Kaffeemühlen. Scheren, Messer, Taschenmesser, Nadeln, Korkenzieher, Spindeln, Etuis. Eine Vielzahl von Münzen und Siegelringen. Eher zufällig entdeckt – ein Prägestempel für Medaillen, datiert auf das Ende des 18. Jahrhunderts, auf dem Robespierre zusammen mit Cécile Renault dargestellt ist, die während der Französischen Revolution angeblich ein Attentat auf ihn verüben wollte und dafür 1794 auf der Guillotine hingerichtet wurde.

Pistolen in unglaublichen Formen, wie wir sie nie zuvor gesehen haben, samt Füllhörnern, Stopfern und Utensilien, über deren Gebrauch man nur spekulieren kann – man kann kaum glauben, dass diese Teile einmal mit dazu beitrugen, die Welt zu verändern.

Es ist noch ein wenig Zeit, durch die Stadt zu schlendern, das Stadtleben zu genießen. Unverzichtbar – in eines der Straßencafès zu sitzen, gemütlich einen Kaffee zu trinken und etwas die Szenerie zu beobachten. Auf dem Rückweg eher noch versehentlich entdeckt: Ein ziemlich modernes, sehr edles Stadthotel, untergebracht in einem alten Palast aus dem 16. Jahrhundert, das Hotel de Bourgtheroulde.

Unser Weg führt noch vorbei am Kunstmuseum, dem Musée des Beaux-Arts. Bei Choc Ô lat werden noch ein paar Pralinen probiert; hier wird noch ganz traditionell von Hand produziert. Und dann geht es zurück zum Schiff.

Über Nacht fährt die MS Deutschland wieder die Seine hinunter, zum Ärmelkanal. Unser nächster Halt wird Honfleur sein, die kleine, romantische Hafenstadt an der Seinemündung.


Tipps für alle, die sich weiter informieren wollen:
Phoenixreisen und die MS Deutschland
– Bericht über die MS Deutschland
– Sehenswürdigkeiten in Rouen
Kathedrale Rouen
Friedhof Aitre Saint Maclou Rouen

– jüdisches Denkmal La Maison Sublime
– Kirche Sainte Jeanne d’Arc
– Schmiedekunst-Museum Musée Le Secq des Tournelles
– Hotel im historischen Gebäude Hotel de Bourgtheroulde
– Kunstmuseum Musée des Beaux-Arts

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2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Luitgard Rommel-Metzler sagt:

    Lieber Bernd, ich bin immer fasziniert von Deinen Reiseberichten; jetzt startet ihr ja nach Schottland…viel Spaß , eine tolle Gemeinschaft und gute Gesundheit…..wir fliegen übermorgen nach Ischia.

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    1. BJ sagt:

      Hallo liebe Luitgard, und ein Dankeschön für die nette Rückmeldung! Und natürlich viel Spaß auf Ischia.

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