Entlang des Ärmelkanals mit der MS Deutschland – Bericht 9
Fast so etwas wie eine Flusskreuzfahrt, die Fahrt der MS Deutschland im Rheindelta, auf der Schelde, mitten hinein nach Antwerpen. Die belgische Stadt wird in erster Linie immer mit dem Diamantenhandel in Verbindung gebracht, ist aber ebenso bekannt für die historische Innenstadt, für Kunst, Mode und gutes Essen.

Unser Schiff legt direkt an der alten Burg Het Steen an, die Teil der Befestigungsanlage der Stadt im 13. Jahrhundert war und das älteste Gebäude in Antwerpen ist.

Wir sind somit direkt am Zentrum – näher geht nicht mehr. Es ist ein neuer, auf dem Fluss schwimmender Anleger; ein moderner, stylischer Steg führt ans Ufer, dann der Weg durch die Burg hindurch – endgültig angekommen.





Nach nur wenigen hundert Metern sind wir mitten im Geschehen, auf dem Grote Plaats mit den prachtvollen Handelshäusern. Auf dem Platz der Brabo-Brunnen; ein Scherzbold, der anscheinend gut klettern konnte, hat der Dame an dominierender Stelle zwei Kronkorken verpasst.



In den Seitenstraßen, durch die wir gehen, haben sich in eher einfachen Gebäuden vor allem Künstler und Antiquitätenhändler niedergelassen. An den Hauswänden sieht man immer wieder Graffitis.


Einiges, was in den Schaufenstern zu sehen ist, eignet sich zusammen mit der Spiegelung der Gebäude von der anderen Straßenseite im Fenster hervorragend für Fotokunst, die die ausgestellten Gegenstände erst richtig wertig aussehen lässt. Was da zu sehen ist – das ist schon ziemlich ungewöhnlich. Skulpturen und Bilder, wild zusammengestellte Antiquitäten, zwischendrin auch ein Kunstwerk, bei dem man erst auf den zweiten Blick Analogien zu einem nicht unbekannten Gemälde erkennt.







Eigentlich wollten wir noch die Centralstation, den Bahnhof ansteuern, wie einige Monate zuvor – in seiner prachtvollen Ausstattung eher wie eine Kathedrale anmutend, aber der Weg führt zu anderen Zielen.





Kaffeezeit. Eher versehentlich kommen wir an einem Platz an mit einer riesigen, prachtvollen Barockkirche. Die Fassade schon beeindruckend, der Innenraum noch mehr. Er wird vor allem diejenigen begeistern, die überbordenden Barock lieben, Säulen, Stuck und Marmor, dazu monumentale Bilder flämischer Meister sowie Gestühl und feinst geschnitzte Figuren entlang der Wände. Erst spät bemerken wir, dass wir in der Karl Borromäus-Kirche gelandet sind, die zu den schönsten Belgiens zählt, die oft auch als Rubens-Kirche bezeichnet wird – von diesem stammen die Fassade und einige Gemälde, andere von bedeutenden Künstlern seiner Zeit.






Mehr Lebenslust demonstrieren zwei Musiker, die auf dem Platz vor der Kirche aufspielen, weit auseinander auf gegenüberliegender Seite, der eine mit Geige, der andere mit Klarinette, beide perfekt am Instrument. Als wir in die Kirche gingen, klang alles noch ziemlich rivalisierend, so ein wenig um das Geld der Passanten buhlend. Als wir herauskamen, hatten sich die beiden verständigt – immer noch weit auseinanderstehend improvisierten sie, immer wieder in der Vorgabe wechselnd, spielten klassische Musik, Klassiker der vergangenen 50er- und 60er-Jahre oder auch Filmmelodien von Ennio Morricone. Ein Klangerlebnis auf dem alten Platz. Für uns so lange, bis die beiden aufhörten zu spielen.


Wie schon in den französischen Städten – auch in Antwerpen wird gut gegessen und getrunken, wie die Auslagen in verschiedenen Geschäften und die Speisekarten der Restaurants wieder einmal zeigten. In den alten Gemäuern entlang der Straßen haben sich allerlei Kaufhäuser niedergelassen. Ein Blick hinein zeigt leider viel zu oft, dass von den alten Räumlichkeiten nur wenig erhalten ist, nur die Fassade noch steht. Einige zeigen jedoch Stil, kultivieren und veranschaulichen den Kontrast von Moderne und Historie – vor allem Modehäuser.


Versehentliche Entdeckungen sind oft die Interessantesten. Dort, wo wir an einer stadtauswärts führenden Straße fast nicht mehr glaubten, etwas entdecken zu können, und gerade umdrehen wollen, stand ein Gebäude, dessen Fassade wir wenigstens noch ansehen wollten. Beschildert war es als „Maagdenhuis“, ein ehemaliges Waisenhaus, jetzt zu besichtigen als kleines Museum.

Die sehr freundliche Dame an der Kasse freut sich offensichtlich, dass wir hereinschauen – anscheinend kann sie an dieser abgelegenen Stelle nicht so viele Besucher begrüßen. Und so erhalten wir einige interessante Informationen zur Geschichte der Einrichtung, die immerhin von Mitte des 16. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts Waisen aufnahm, Mädchen. Für die Jungs gab es ein anderes Waisenhaus in der Stadt. Über jedes Kind wurde Buch geführt, und diese Niederschriften sind erhalten – wir dürfen in einer Kopie stöbern und entdecken dabei sogar uns bekannte Familiennamen.










Auch die Kinder führten eine Art Tagebuch, besser ein Verzeichnis der Arbeit, die sie geleistet haben – im Waisenhaus wurde genäht, in Auftragsarbeit auch geklöppelt, gewaschen, für andere Haushalte gekocht. Gegessen wurde Haferbrei aus bemalten Tonschüsseln. Die ältesten, die zu sehen sind, stammen aus dem 16. Jahrhundert; die angewandte Technik, in der sie bemalt sind, gilt als Vorläufer des Delfter Blau. Einige der Dokumente sind einsehbar, und die Tätigkeiten sind auch in alten an den Wänden hängenden Gemälden vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert festgehalten. Allerdings scheinen diese Gemälde die Lebenssituation im Waisenhaus doch etwas sehr zu glorifizieren, sieht man zum Beispiel die dargestellte gepflegte, hochwertige Kleidung der Kinder.



Von der ursprünglichen Ausstattung der Anlage ist kaum etwas erhalten; von dieser ist eher etwas zu erahnen anhand der Gemälde und weniger ausgestellter Fotos aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Aber eines ist sicher: Auch im Waisenhaus zeigt sich, dass die Region vom 15. bis zum 18. Jahrhundert geradezu kunstversessen gewesen sein muss. Egal wo man hinkommt, Gemälde, möglichst großflächige. Wie überall, wo wir hinkamen, ob Kirchen, öffentliche Gebäude, Museen, sogar in Restaurants, es ist ein geradezu überbordendes Angebot. Selbst in diesem Waisenhaus, das sich den Armen, nicht der großen Kunst verschrieben hat, wurden Gemälde in Auftrag gegeben, die mehr oder weniger realistisch das Alltagsleben im Waisenhaus darstellen, und es wurde ergänzend gesammelt – und so hängen hier auch Kunstwerke zum Beispiel von Rubens oder van Dyck .



Aber noch weit beeindruckender als all die doch oft recht schwülstigen Darstellungen ist ein Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, von einem nicht bekannten Künstler, fein und detailliert gemalt, eine Art Belehrung über Vorteile guter Taten und Bedrohungen durch verwerfliches Handeln.

Insgesamt eindrucksvoll, und bei der Betrachtung von Details gewinnt man auch ein wenig Spaß daran, all die kleinen Teufelchen zu entdecken, die offensichtlich herumwirbeln oder versteckt hinter Vorhängen lauern, oder sich die Darstellung guter und schlechter Taten anzusehen, wobei man nicht immer zwingend erkennen kann, ob der Künstler nicht wohl ganz viele Zweideutigkeiten mit einbauen wollte.











Genug zum Museum. Beim weiteren Gang durch die Stadt kommen wir vorbei an der Kathedrale.

Gleich neben der Kathedrale, die umgeben ist von Restaurants, Cafés und Pralinengeschäften, ist ein Plätzchen, das uns immer wieder gefällt, wenn wir in Antwerpen sind – wir sind beim 11. Gebot.

Das ist ein kleines Restaurant in einem alten gotischen Gebäude, über zwei Etagen, fast wie eine kleine Kapelle, vollgestopft mit Heiligenfiguren, bei denen man sich immer wieder fragt, wie viele mittelalterliche Kirchen dafür „geplündert“ werden mussten, dazwischen Tische und Stühle, und es gibt ein hervorragendes Essen.





Leider haben wir dazu keine Zeit mehr. Noch einmal geht es eher zügig durch die Straßen. Inzwischen hat sich der regnerisch-graue Himmel des Vormittags gewandelt; blauer Himmel, einige Wolken, und immer wieder blitzt die Sonne durch. Antwerpen zeigt sich nun noch von einer freundlich wirkenden Seite. Um die Ecke werden noch ein paar Pralinen gekauft, in einem Traditionsgeschäft. In der Gelateria Milanese gibt es noch ein hervorragendes Eis.



Aber wir müssen zurück – mehr und andere Entdeckungen aus Antwerpen gibt es bei einer nächsten Reise wieder. Durch die Burg hindurch geht es zum Schiff, und mit dem geht es weiter, nach Amsterdam.


Tipps für alle, die sich weiter informieren wollen:
– Phoenixreisen und die MS Deutschland
– Bericht über die MS Deutschland
– Sehenswürdigkeiten in Antwerpen
– der palastartige Central-Bahnhof
– prächtiger Barock in der Karl Borromäuskirche
– beste Schokolade im historischen Gemäuer bei Chocolateline
– hervorragendes Eis in der Gelateria Milanese
– das „Elfte Gebot“, essen und staunen
– Geschichte und Gemälde im Maagdenhuis
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